08.11.2022 10:20:00
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wiiw-Studie: Ukrainischerer Wiederaufbauplan hat Schwächen
Der Wiederaufbauplan der ukrainischen Regierung (National Recovery Plan) geht von Kosten in Höhe von 750 Mrd. US-Dollar (750,5 Mrd. Euro) aus. Wobei Militärausgaben in Höhe von 50 Mrd. Dollar enthalten seien. Zwei Drittel davon, also 500 Mrd. Dollar, sollen von ausländischen Geldgebern kommen.
Zu den Stärken des Wiederaufbauplanes zähle etwa das Bestreben, institutionelle Reformen in Angriff zu nehmen, die Macht der bisher allgegenwärtigen Oligarchen zu beschneiden und die Ukraine an EU-Standards heranzuführen.
In der Studie gehen wiiw und GROWFORD Institut davon aus, dass die intensivste Phase des Krieges bis Mitte nächsten Jahres dauern wird. Die internationalen Geldgeber müssten laut der Studie mit rund 410 Mrd. Dollar etwas weniger zum Wiederaufbau beisteuern, heißt es in der Studie. Dieser Betrag steht im Einklang mit anderen einschlägigen Schätzungen. "Die EU, die ein starkes Eigeninteresse an einer demokratischen und prosperierenden Ukraine hat und das Land ja auch zum Beitrittskandidaten gemacht hat, wird daher ihre Anstrengungen in diesem Bereich massiv verstärken müssen", betont Co-Autor Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw.
Ein anderer Kritikpunkt ist der Plan, die Steuern- und Abgabenquote auf 30 Prozent des BIP zu drücken. Dies sei unvereinbar mit den hunderten Milliarden Dollar, die der Wiederaufbau kosten werde. "Auch bei der Verteilung der Mittel auf die einzelnen Sektoren sowie bei den Plänen für die Industriepolitik und den Finanzsektor sind Anpassungen notwendig" führte Tetiana Bogdan, wissenschaftliche Direktorin des GROWFORD Instituts in Kiew und Gastforscherin am wiiw, an.
Unrealistisch erscheine das im Wiederaufbauplan formulierte Ziel einer Verfünffachung der Wirtschaftsleistung von etwas über 100 Mrd. Dollar im heurigen Jahr auf 500 Mrd. Dollar im Jahr 2032. Das lege auch der Vergleich mit anderen ehemaligen Kriegsgebieten nahe. Bosnien-Herzegowina habe gerade einmal eine Verdreifachung des BIP zwischen 1996 und 2005 geschafft, Kroatien eine Verdoppelung von 1994 bis 2003.
In der Studie wird auch der dezentrale Ansatz kritisch beleuchtet: "In den meisten Fällen sollte der Wiederaufbau auf nationaler Ebene koordiniert werden", gibt Michael Landesmann, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor des wiiw und Co-Autor der Studie, zu bedenken. Der Wiederaufbauplan sehe vor, die Projekte in bestimmten Regionen unter Führung eines internationalen Partners zu konzentrieren. Großbritannien habe sich etwa bereit erklärt, den Wiederaufbau in der Region Kiew zu übernehmen, Dänemark will sich auf Mikolajew konzentrieren, Schweden auf Odessa.
Die Einstufung der Schwerindustrie und der Agrarproduktion als Sektoren mit hoher Wertschöpfung wird ebenfalls kritisiert. Es handle sich dabei um eine rückwärtsgewandte Industriepolitik, statt die Gelegenheit für einen Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen und grünen Wirtschaft zu forcieren. Dabei hätte die Ukraine gerade im IT-Bereich oder bei Umwelttechnologien großes Potenzial, merkte Landesmann an.
fel/cgh
ISIN WEB http://www.wiiw.ac.at/

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